Wo der Winter wohnt
Inzwischen haben wir uns in unserer kleinen Rumpelhütte eingelebt und einsortiert. Wenn der Tag anbricht schüre ich das Feuer, bis es für meinen Mann warm genug ist zum Aufstehen. Ich stelle ihm die erste Tasse Kaffee vor die Nase. Was folgt ist ein brummen und die bereits erwähnten morgendlichen Rituale. Danach gibt es Rührei mit Speck und wir frühstücken bei Eisblumen am Fenster, die langsam von der Sonne vertrieben werden.
Der Tag ist jung und für heute planen wir eine große Wanderung. Wettergerecht in Daune gepackt starten wir zu Fuß vom Pier in Baikalskoe. Die Schiffe die hier liegen sind schon seit Wochen festgefroren und wirken wie aus der Zeit gefallen. Wir betreten das Eis des Baikalsees, mit einem zuerst leicht mulmigen Gefühl. Sooo viele Meter geht es nun unter uns in die Tiefe.
Es ist still. Kein Vogel, kein Insekt, rein gar NICHTS ist zu hören. Die Kälte hat die Landschaft fest im Griff. Jedoch lacht die Sonne mit uns und im Schnee funkeln tausende Kristalle um die Wette. Ein perfekter Wintertag bei -20 Grad. Wer den Winter nur noch aus Kindheitserinnerungen kennt, der sollte auf jeden Fall mal nach Sibirien reisen. Hier leisten Väterchen Frost und Frau Holle nach wie vor noch ganze Arbeit.
Wir suchen uns unseren Weg entlang der Eisbruchkante.
Richtung Norden. Manchmal sehen wir Autos über den zugefrorenen See fahren. Nach einiger Zeit erscheint uns eine Stelle passend um diese Berge aus aufgewirbeltem und wieder gefrorenen Eisplatten zu überqueren. Das ist gar nicht so einfach, denn die spitzen Kanten stehen meterhoch empor und jeder Schritt muss überlegt sein. Wir stehen inmitten des Eisbruchs und können nur noch staunen. Von hellblau bis smaragdfarben leuchten und schimmern diese Eisberge um uns herum in der Sonne.
Weiter. Der Eisbruch liegt nun links von uns. Wir nähern uns dem Kap Ludar und sofort kommt Wind auf. Das alleine reicht schon um die handschuhgeschützten Hände zusätzlich tief in der Daunenjacke zu vergraben. Sobald wir das Kap passiert haben lässt die Windböe Gott sei Dank wieder nach. Wir steuern nach Links und können das Ufer und den angrenzenden Wald sehen. Allerdings trennen uns davon noch mehrere hundert Meter Eis, mit den bereits bekannte spitzen Verwerfungen. Nicht ganz so hoch als an der eigentlichen Bruchkante aber eben sehr weitläufig. Der Weg durch diese Eisfläche ist anstrengend und abenteuerlich zugleich. Das Ziel schon so nah vor Augen und trotzdem muss jeder Meter Boden hart erkämpft werden. Erschöpft am Ufer angekommen, dürfen wir zur Belohnung mehrere meterhohe wunderschöne Eiszapfen an der Felswand bestaunen.
Zurück geht es nun steil bergauf durch den Wald. Es ist anstrengend und wir folgen Spuren die wir im Schnee finden. Zum Teil hilft auch meine Erinnerung an diesen Wegabschnitt weiter. Oben auf dem Bergrücken angekommen werden wir wieder belohnt. Diesmal mit einer großartigen Aussicht auf den Baikalsee und der gegenüberliegenden Gebirge. Von hier ab ist der Rückweg einfach. Vorbei an der Wetterstation geht es nun nur noch bergab. Hinunter in unser kleines Dörfchen Baikalskoe, dass sich, wie aus einem Bilderbuch gemalt im Tal vor uns ausbreitet.