Ein weiterer Grund schon etwas zeitiger an russischen Bahnhöfen zu erscheine, ist der Tatsache geschuldet, dass die Züge wirklich sehr sehr lang sind. So kann es vorkommen, dass je nach gebuchter Wagennummer, eines weite Strecke zurückgelegt werden muss. Nachdem ich meine Wagennummer gefunden habe, stelle erleichtert und voller Vorfreude strahlend mein Gepäck ab. Abgekämpft und von der schweren Last befreit noch immer leicht schnaufend suche ich in den Tiefen meiner Daunenjacke nach Reisepass und Zugticket. In Russland kommt man ohne diese beiden Dokumente erst gar nicht in den Zug. Als ich beides gefunden habe schaue ich zum ersten Mal auf und blicke dabei in die strengen Augen der Zugbegleiterin. Diese hat sich in Armee Haltung und mit absolut akkurat Sitzender Uniform vor mir aufgebaut. Der Fall ist klar. An Ihr führt hier kein Weg vorbei. Ich reiche Ihr meinen Pass samt Fahrkarte und fühle mich dabei schon ein wenig wie bei der Zollkontrolle zur russischen Staatsgrenze. Schier endlose Minuten vergehen. Immer wieder schweift ihr prüfender Blick zwischen den Dokumenten und mir. Endlich kommt das erlösende Handzeichen, ich bekomme meine Dokumente zurück und darf eintreten.
Die Gänge im Zug sind verhältnismäßig schmal und vollbeladen wie ich bin dauert es etwas bis ich mich zur gebuchten Kabine vorgearbeitet habe. Noch ist das Abteil leer. Ich kann mich also erst einmal ganz in Ruhe häuslich einrichten. In einem Abteil der zweiten Klasse gibt es insgesamt 4 Schlafplätze. Jeweils zwei unten und oben. Ich schiebe die kleinen Vorhänge zur Seite, denn so kann man von allen vier Plätzen wunderbar durch das große Abteilfenster nach draußen schauen. Mein gebuchter Platz ist oben links. Ich hiefe zuerst mein gesamtes Hab und Gut auf das obere Bett, um von dort aus alles in dem mehr als großzügigen Gepäckfach direkt über der Tür verstauen.
Nach und nach füllt sich der Zug und gespannt beobachte ich die Szenerie. Dabei fällt mir auf, dass unter den Reisenden keinerlei Hektik oder Gedränge aufkommt, wie dass in deutschen Zügen leider so üblich ist. Ganz im Gegenteil. Das mag wohl auch daran liegen, dass der gebuchte Platz hier eben wirklich fest gebucht ist und nicht schon 10 Minuten nach Fahrtantritt wieder verfällt. Außerdem stelle ich fest, dass Zugfahren in Russland einem festgelegten Ritual zu unterliegen scheint. Einsteigen, Gepäck verstauen und ACHTUNG ganz wichtig: SOFORT umziehen. Das ist obligatorisch. Eben noch der Business Man aus Moskau jetzt Jogginghose, Unterhemd und Hausschuhe. Ich bin verblüfft wie schnell das geht und teilweise erkenne die anderen Fahrgäste gar nicht mehr wieder. Dem passe ich mich gerne an und tausche also bei geschlossener Abteiltür, (und siehe da wie praktisch, auf der Innenseite der Tür ist ein großer Spiegel), fix meine Jeans gegen Leggins und meinen Stadt-Pullover gegen Schlabber T-Shirt. Das fühlt sich gut an. Dann ertönt auch schon ein schriller Pfiff und langsam ruckelnd setzt sich der Zug in Bewegung.